Océane steckte sich eine Zigarette an und ging hinaus, um einen kurzen Spaziergang zu machen. Heute hatte sie etwas ganz Besonderes vor. Letzte Woche erzählte ihr ihre Kollegin, dass eine für sie super passende Biologiestelle in Paris ausgeschrieben wurde. Dies wollte sie sich nun anschauen. Allerdings war sie bis jetzt wegen dem Stress in ihrer Familie noch nicht dazugekommen, die Ausschreibung anzuschauen.
Jeden Abend vor dem Schlafengehen ging sie rauchend spazieren. Diese Angewohnheit hatte sie sich vor etwa einem Jahr zugelegt. Sie hatte damit begonnen, weil sie etwas Ruhe von Jonas brauchte. Ihr Mann war Richter und verdiente bereits viel Geld im Vergleich zu ihr, die noch eine junge Biologin war. Zwar arbeitete sie viel und publizierte auch, aber sie verdiente dennoch sehr wenig. Dies führte seit einem Jahr immer häufiger zu Streitigkeiten zwischen den beiden. Jonas dachte oftmals nur an sich, an seinen Job und daran, wie er seine Machtposition noch mehr ausbauen könnte. Er fand außerdem, dass Océane zu viel arbeitete und dass sie sich mehr um ihren Sohn Théo kümmern sollte. Océane war da ganz anderer Meinung.
Nach fünf Minuten kam sie zu einer Bank. Sie setzte sich hin und holte ihr Handy heraus. Sie scrollte durch die aktuellen News aus der Biologie und suchte eifrig nach der Stelle. Sie fand sie, tatsächlich überdeckte diese genau ihr Fachgebiet. In der Anzeige stand außerdem, dass eine junge, arbeitsbereite und interessierte Person gesucht wird. Eine Stelle als Biologin war Océans Traum! Seit ihrer Jugend beschäftigte sie sich viel mit Tieren, am liebsten hatte sie Frösche. Sie hatte einen Käfig mit 5 Fröschen in ihrem Schlafzimmer. Sie fütterte sie jeden Morgen und Nachmittag nach der Schule. Im Käfig hatte sie kleine Lichter eingebaut, sodass sie ihnen am Abend aus dem Bett zuschauen konnte.
Logischerweise wollte sie sich sofort bewerben, doch dann dachte sie sofort wieder daran, dass sie in der Schweiz lebte, dass sie ein Kind hatte und dass sie nicht genug Geld hatte, um nach Paris zu gehen. Und ihr Mann würde so etwas nicht einmal in seinen Träumen unterstützen.
Nachdem sie sich Gedanken gemacht hatte, entschied sie sich, mit Jonas darüber zu sprechen “Jonas, letzte vorletzte Woche hat mir eine Kollegin gesagt, dass eine super Stelle für mich ausgeschrieben wurde, ich könnte mich für diese Stelle in Paris bewerben. Diese Stelle ist perfekt und wäre mein Traum! Was haltest du davon?”
“Meinst du das im Ernst? Wie stellst du dir denn das vor? Ich muss hier arbeiten, so könnte sich ja niemand mehr um Théo kümmern, wenn du die ganze Zeit weg wärst.”
“Ich könnte mich doch einfach mal bewerben, so eine Chance bekomme ich kein zweites Mal und wahrscheinlich werde ich so oder so nicht angenommen”
“Nein, vergiss es, warte einfach, bis du eine solche Stelle in der Schweiz bekommst.”
Nach dem Gespräch meldete sich Océane doch an, auch wenn Jonas dagegen war.
Zwei Monate später, am 4. Mai, an einem Abend, bekam sie eine Einladung per E-Mail: Sie durfte sich in Paris vorstellen gehen. Das Vorstellungsgespräch sollte am 25. Mai um 16 Uhr stattfinden, also in drei Wochen. Eine Woche lang bereitete Océane sich heimlich vor, ohne ihrem Mann etwas zu sagen, denn sie hatte Angst, dass Jonas wahrscheinlich sauer sein wird, weil sie nicht auf ihn gehört hat. Sie schrieb auch bereits ihrer Mutter Hélène, ob sie am Abend nach dem Vorstellungsgespräch bei ihr übernachten dürfe.
Schließlich entschied sich Océane, mit ihrem Mann doch noch einmal über die Stelle zu sprechen. Am Abend des 13. Mais nahm sie ihn mit auf ihren täglichen Spaziergang, um ihn zu informieren.
“Ich muss mich erstmal entschuldigen, ich habe mich beworben, obwohl du dagegen warst. Letzte Woche wurde ich zu einem Vorstellungsgespräch in zwei Wochen eingeladen. Bitte, lass mich dorthin gehen, es war schon seit meiner Kindheit mein Traum, eine solche Stelle zu bekommen. Ich bin schon fast perfekt vorbereitet und habe auch schon für eine Übernachtung gesorgt, ich darf zu meiner Mutter. Es wäre echt sehr nett, wenn du mich unterstützen würdest”
“Warum tust du das?! Ich arbeite täglich viel, ich kann mich nicht auch noch um Théo kümmern, das habe ich dir doch schon gesagt. Das stress uns nur, lass es also bitte sein. Ich helfe dir gerne, um einen guten Job zu finden, warte einfach auf einen in der Schweiz, dieser jetzt in Paris geht nun mal nicht.”
“Ich könnte doch Théo mitnehmen und meine Mutter könnte sich um ihn kümmern, wenn’s dir nicht geht.”
“Das kommt auf gar keinen Fall in Frage, Théo geht bald in die Schule und kann nicht einfach so eine Woche weggehen.”
Ohne ein weiteres Wort zu sagen, liefen die beiden nach Hause. Océane war so sauer auf sich, wie konnte sie sich nur einbilden, dass Jonas sie unterstützen würde. Sie bereute es, dass sie ihn deswegen überhaupt gefragt hatte. Das war für sie auch der Beweis, dass sie wirklich von Jonas wegwollte. Sie arbeitete die restlichen zwei Wochen im Geheimen weiter an ihrem Vortrag. Das Einzige, was ihr Sorgen machte, war Théo. Sie konnte ihn nicht bei Jonas lassen. So wie der klang konnte das mit Théo bei ihm nicht gut enden. Also entschied sie sich, ihn einfach mitzunehmen.
Sie klärte noch einmal alles mit Hélène ab, ob sie sich auch um Théo kümmern könne,
Am Vormittag des 24. Mai fuhr sie, nachdem Jonas zur Arbeit gegangen war, mit Théo und etwas Geld für die Fahrt los. Sie hinterliess einen Brief auf dem Esstisch mit einem Foto von ihnen beiden, als sie geheiratet hatten.
Hallo Jonas,
ich bin heute Morgen mit Théo nach Paris losgefahren. Mach dir wegen ihm keine Sorgen. Ich gehe heute bei meiner Mutter schlafen und gehe morgen zu meinem Vorstellungsgespräch. Wir fahren sieben Stunden lang Auto. Wenn du dich entschuldigen möchtest oder mit mir noch einmal darüber sprechen willst – ich bin erreichbar.
Vielleicht komme ich nach der Vorstellung zurück…
Mach’s gut!
Océane
Nach fünf Stunden Fahrt klingelte das Telefon bei Océane. Nach einem kurzen Zögern nahm sie ab, es war Jonas.